Sich als hochsensibel outen oder nicht? Wie du gut für dich sorgst, ohne Konflikte heraufzubeschwören
In der Vielfalt ihrer Wahrnehmungen, die eigenen Bedürfnisse zu erspüren, ist für Hochsensible schon eine knackige Aufgabe. Besonders dann, wenn ihr Alltag sehr beschleunigt ist. Zusätzlich auch noch liebevoll und selbstbewusst für sich selbst einzustehen, ist für viele hochsensible Menschen schwierig. Sie sorgen sich um das harmonische Miteinander und wissen oft nicht, wie sie ihre Bedürfnisse "erklären" und ob sie sich zu diesem Zweck als Hochsensible "outen" sollen.
Wie du selbstbewusst und stimmig für dich eintrittst, ohne anderen auf die Füße zu treten, das verrate ich dir hier.
Macht es Sinn, sich als hochsensibel zu outen?
Oft werde ich gefragt, ob es sinnvoll ist, die eigene Hochsensibilität zu thematisieren, sich zu outen. Im Beruf oder in der Partnerschaft, unter Freunden oder im Netz. Dahinter steckt eine oft große Sehnsucht, verstanden und als Mensch mit besonderen Antennen und großem Rückzugsbedürfnis respektiert zu werden.
Eine pauschale Antwort mag ich darauf gar nicht geben. Wichtig ist, dass sich dein "dich Outen" für dich stimmig anfühlt. Ich persönlich habe mich mit meiner Hochsensibilität nur deshalb so sichtbar gemacht, weil ich als Beraterin und Bloggerin zu diesem Thema tätig sein wollte. Hätte dieser Wunsch nicht bestanden, hätte ich mich sicherlich nicht so stark als Hochsensible gezeigt. Denn ein sich Outen hält auch Stolperfallen bereit, z.B.
=> dass sich andere irritiert oder als nicht so sensibel herabgesetzt fühlen
=> dass ein längerer und oftmals ermüdender Erklärungsprozess angestoßen wird
=> dass die Hochsensibilität vom Gegenüber aus Unwissenheit oder Unsicherheit herabgesetzt oder lächerlich gemacht wird
=> dass hochsensible Menschen nach einem Outing mit Vorurteilen konfrontiert werden, die nur schwer auszuräumen sind.
Meine Erfahrung ist: Erst wenn wir sehr im Reinen mit unserer hochsensiblen Seite sind, sie zu schätzen gelernt und unser Leben unseren Besonderheiten entsprechend gestaltet haben, gelingt uns ein Outing so richtig gut. Dann können wir auch mit Gegenwind besser umgehen und Andersdenkende oder die Irritation unseres Gegenübers liebevoller aufnehmen.
Darum ist mein Tipp: Erforsche zunächst deine wundervolle hochsensible Seite, lerne deine Talente kennen und schätzen, sei liebevoll mit dir und sorge gut für dich. Dann ergibt sich alles andere von selbst. ;-)
Lerne mehr über die Besonderheiten der Hochsensibilität!
Wie hochsensible Menschen ihre Bedürfnisse einfordern können, ohne sich zu outen - Ideen
Obwohl auch ich die Sehnsucht, verstanden und in meinen besonderen Bedürfnissen respektiert zu werden, teile, durfte ich die Erfahrung machen, dass es überhaupt nicht nötig ist, die eigenen Bedürfnisse mit der Hochsensibilität zu "erklären" oder gar zu entschuldigen. Es reicht, meine Bedürfnisse zu erkennen, sie mir zu erlauben und liebevoll dafür Sorge zu tragen, dass sie mir zu erfüllen. Meine Tipps dazu findest du in meinem Artikel "Wie Hochsensible ihre Akkus wieder aufladen".
Hier kommen meine liebsten Formulierungen für das Einfordern meiner Bedürfnisse. Vielleicht kannst du sie individuell an dich angepasst nutzen?
Unter Freundinnen
"Wow, was für ein intensives Gespräch. Ich habe jede Sekunde genossen und habe das Gefühl, dass deine Worte noch in mir nachklingen und nachwirken werden. Jetzt brauche ich etwas Zeit, all das Besprochene sacken zu lassen. Lass uns unser Gespräch fortsetzen, sobald es für uns beide passt."
Im Seminar
"Während des Seminars sind so viele Informationen auf mich eingeströmt, dass ich mir jetzt in der Pause gerne Zeit für etwas Ruhe und inneres Sortieren nehmen möchte. Deshalb ziehe ich mich jetzt zurück und tauche wieder auf, sobald ich soweit bin oder sobald es mit dem Seminar weitergeht."
Vor Entscheidungen
"Bevor ich eine Entscheidung treffe, möchte ich noch einmal alle Aspekte und Informationen in mir wirken lassen. Ich überschlafe unser Gespräch noch ein-, zweimal und melde mich dann wieder bei Ihnen."
Beim Arzt
"Bei mir wirken Arzneimittel in sehr geringer Dosierung am besten. Lassen Sie uns bitte mit der geringsten Dosierung beginnen und sie dann ggf. anpassen."
In der Partnerschaft
"Ich brauche nach der Erledigung meiner Aufgaben ein bisschen Zeit, um mich voll und ganz auf dich einzustimmen. Deshalb gehe ich erst einmal um den Block und freue mich, dich später entspannt zu treffen und etwas mit dir zu unternehmen."
Mit Kindern
"Gerade bin ich total müde und erschöpft und deshalb nicht zum Spielen aufgelegt. Lass uns gemeinsam ein wenig auf der Couch kuscheln und danach etwas spielen. / Spiele bitte einige Minuten allein / mit Papa / Schwester / Bruder. Ich komme dann später dazu."
Unter Strom
"Gerade bin ich ziemlich angespannt und überreizt. So kann ich nicht arbeiten / mich nicht gut auf dich einlassen. Ich ziehe mich einige Minuten zurück / mache Yoga / einen Spaziergang, um meine Gedanken zu sammeln. Dann können wir uns im Anschluss wieder produktiven Dingen widmen / etwas gemeinsam unternehmen."
Bei Unbelehrbaren, die gerne deine Grenzen austesten, oder etwas robusterer Natur sind ;-)
"Ich bin jetzt erstmal im Off und melde mich um ... Uhr / sobald ich Zeit dazu finde / nachdem ich wieder einen klaren Kopf habe."
Es gibt immer Menschen, die sich gern in Gesprächen reiben, die die Grenzen ihres Gegenübers täglich neu ausloten möchten, die Freude ein kleinen verbalen Rangeleien haben oder die sich im Dauerplaudern verlieren. Diese Menschen sind für Hochsensible zwar gute Sparringspartner in Sachen Selbstbewusstsein und Abgrenzung, aber auch sehr anstrengend, denn sie sind in der Regel unbelehrbar und nicht bereit, sich auf das Temperament hochsensibler Menschen einzulassen. (Mehr dazu findest du im Artikel "Warum manche Begegnungen für Hochsensible so anstrengend sind")
Deshalb ist mein Rat: Spar dir deine Kraft. Brich den Kontakt ab und umgib dich mit Menschen, die deine Mentalität respektieren und deine Qualitäten schätzen.
Du hast ein Recht darauf, glücklich und gesund zu sein - wie jeder Mensch
Es ist das Geburtsrecht eines jeden Menschen, glücklich und gesund zu sein. Deshalb habe bitte kein schlechtes Gewissen, wenn du deine Wünsche und Bedürfnisse formulierst. Bedürfnisse sind Bedürfnisse und stehen jedem Menschen zu. Und deshalb bedürfen sie aus meiner Sicht auch keiner Erklärung.
Selbstverständlich kannst du mit deinem Gegenüber auch über bestimmte Dinge "verhandeln", um eine stimmige und faire Lösung für alle Beteiligten zu finden. Dann aber bitte auf Augenhöhe und voller liebevollem Verständnis für dich selbst und den anderen. :-)
Oft habe ich erlebt, dass Taten so viel stärker sind als Worte. Wenn ich einfach tue, was mir gut tut, wenn für mich feststeht, dass etwas so für mich stimmig ist und nicht anders, wenn ich selbstbewusst und im Reinen mit mir auftrete, dann werde ich in der Regel akzeptiert.
Deshalb lass dein Selbstbewusstsein, deine liebevolle Selbstfürsorge immer mehr zu deinem natürlichen Zustand werden und dein Leben wird automatisch leichter, glücklicher und deinen Bedürfnissen entsprechend sein.
Wie du dich outen kannst, wenn es für dich stimmig ist
Wenn deine Liebsten oder enge Kollegen und Freunde immer und immer wieder nachhaken, warum du dich denn nun so oft zurückziehen möchtest oder warum du nicht zu dieser und jener Party mitgehen willst, dann kann es tatsächlich entlastend sein, sich als hochsensibel zu outen. Wenn du also das Bedürfnis hast, dich zu outen, dann tu das.
Ich habe mit Formulierungen wie diesen gute Erfahrungen gemacht:
"Ich nehme Begegnungen und Sinneseindrücke sehr intensiv in mich auf und habe Freude daran, sie lange in mir zu bewegen. Mein Erleben ist sehr bunt und manchmal auch für mich überraschend überwältigend, deshalb ziehe ich mich gern und viel zurück. Eine amerikanische Psychologin hat dieses Phänomen zuletzt intensiv erforscht und nennt das Hochsensibilität. Um die 20 % der Bevölkerung ticken so ähnlich wie ich. Das ist sehr spannend. Wenn dich das interessiert, dann schau doch mal im Netz unter Elaine Aron und Hochsensibilität oder ich leihe dir ein Buch."
Sicherlich findest du deine eigenen Worte. Und das ist gut so. Denn je authentischer du über deine Hochsensibilität sprichst, desto leichter ist sie für dein Gegenüber nachzuvollziehen. Ich wünsche dir viel Freude und Kraft und liebevolle Menschen um dich herum. :-)
Lass es dir ganz gut gehen!
Alles Liebe, deine Inga
Kommentar schreiben