Definition und besondere Talente hochsensibler Menschen
Die US-amerikanische Psychologin Elaine N. Aron hat die Hochsensiblität intensiv erforscht. Ihre Bücher gelten als Standardwerke in Sachen Hochsensibilität.
Sie geht davon aus, dass bis zu 20% der Menschen - egal ob Frau oder Mann - in unterschiedlichster Art und Weise hochsensibel sind. Das wären in Deutschland allein 16 Millionen Menschen, von denen viele wohl nicht einmal selbst von ihrer hochsensiblen Seite wissen.
Grund genug, sich mit den wie ich finde sehr wertvollen Qualitäten und auch mit den zu meisternden Herausforderungen hochsensibler Menschen zu befassen. :-)
Die 8 Hauptaspekte der Hochsensibilität & ihre individuelle Ausprägung
Von Hochsensibilität spricht man derzeit und basierend auf der Definition von Elaine N. Aron dann, wenn ein Mensch über die folgenden vier Qualitäten verfügt (ich habe noch vier weitere für mich besonders relevante Aspekte hinzugefügt).
Dabei können diese Qualitäten je nach Ausprägung der Hochsensibilität besonders hervorstechen oder aber mild ausgeprägt sein. Das macht ersichtlich, dass Hochsensibilität etwas sehr individuelles ist. Es gibt hochsensible Menschen, die man als eher feinfühlig oder sensibel definieren würde und die mit ihrer Empfindungsintensität nur leicht über der normalsensibler Menschen liegen. Andererseits gibt es auch extrem hochsensible Menschen, die in ihrer Wahrnehmung ganz besonders empfindsam sind.
All das macht hochsensible Menschen nicht zu besseren oder schlechteren Menschen als andere, sondern einfach zu Menschen mit einer Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsqualität, die sich von anderen Menschen unterscheidet. Je nach Ausprägung der Hochsensibilität eben stärker oder weniger stark.
1 Sensorische Empfindlichkeit:
Damit ist die erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit über die fünf Sinne Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und über die Haut fühlen gemeint. Hochsensible haben einen ausgezeichneten Blick fürs Detail, hören bereits leise Geräusche sehr deutlich und empfinden laute Geräusche mitunter als schmerzlich (siehe Hyperakusis). Sie haben einen ausgeprägten Tastsinn, riechen ausgezeichnet und können ihre Sinne auch auf "Übersinnliches" einstellen (siehe "Hochsensibel = Hochsensitiv?").
2 Schnelle Übererregbarkeit:
Durch die sensorische Empfindlichkeit können Hochsensible schnell ein Zuviel an Geräusch, Geruch, Gesehenem, Geschmecktem und Gefühltem empfinden.
Dauer- oder laute Geräusche werden als schmerzlich, zermürbend und Aggressivität auslösend wahrgenommen, obwohl sie für andere kaum hörbar oder gewohnt laut erscheinen mögen.
Parfums, Waschmittelgerüche, Blütendüfte, Räucherwerk oder ätherische Öle können in der Nase stechen und zu Übelkeit und Kopfschmerz führen.
Scharfe oder würzige Gerichte können bereits dann schon heftige Reaktionen wie tränende Augen, Hautrötungen, Verdauungsbeschwerden etc. bei Hochsensiblen auslösen, wenn andere noch nicht einmal mit der Wimper zucken.
Ein rauer Schafswollpulli kann bei Hochsensiblen das Gefühl auslösen, sie hätten sich in eine Gemüseraspel gekleidet.
Ein kratzendes Wäscheschildchen oder ein faltenwerfendes Stück Wäsche kann extrem stressen.
Auch Elektrostrahlung, Erdstrahlung, Sonnenstürme und andere kosmische Einflüsse sowie Wetterwechsel (siehe "Warum viele Hochsensible wetterfühlig sind") sind für viele Hochsensible eine Herausforderung.
3 Sehr detaillierte und gründliche Informationsverarbeitung:
Alle über die fünf Sinne, manchmal auch über den sechsten Sinn wahrgenommenen Informationen und Reize sowie die eigene innere und sehr reiche Erlebniswelt werden detailliert analysiert, in vorhandene Erfahrungen integriert, von allen Seiten betrachtet und erspürt. Hochsensible können sehr gut vernetzt, interdisziplinär und systemisch denken. Viele Hochsensible bezeichnen sich als grüblerisch.
4 Emotionale Intensität:
Eigene und die Gefühle anderer, Stimmungen, Erlebnisse oder auch Musik werden als sehr intensiv und überwältigend wahrgenommen.
Ängste, Wut, Zweifel, Ungerechtigkeiten, Kritik oder Stress können dabei als genauso allumfassend und alles beherrschend wahrgenommen werden wie Liebe, Glück, Freude und Rührung. Hochsensible können vor Wut zittern oder vor Freude weinen, aber auch vor lauter Stress zapplig werden (siehe "ADHS oder hochsensibel?") und deshalb in einem übererregten Zustand auf ihre Mitmenschen, nervös oder emotional, spleenig oder eigenartig wirken.
Hochsensible entwickeln aufgrund ihrer emotionalen Intensität zumeist ein großes Mitgefühl mit anderen und ein besonderes Harmoniebedürfnis und versuchen emotionale Schieflagen und Konflikte in Familie und Beruf auf ein für sie erträgliches Maß einzuregulieren.
5 - 8 Aus meiner Sicht kommen noch vier wesentliche Aspekte hinzu:
- große Kreativität in sehr individuellen Ausprägungen,
die mitunter in einer Vielbegabung münden kann (sogenannte Scannerpersönlichkeiten) und intensives Träumen, - großes Verantwortungsbewusstsein,
- intensive Selbstreflexion und ein stetiges sich selbst Hinterfragen,
- Suche nach Sinn.
Vertiefung, Selbsttests & Abgrenzung zur Hochbegabung
Mehr Qualitäten hochsensibler Menschen habe ich in meinem Artikel "20 Dinge, die Hochsensible so richtig gut können" für dich zusammengestellt. Ich bin gespannt zu lesen, wie du dich in den genannten Qualitäten wiedererkennst. :-)
Meine Selbsttests zu Hochsensibilität & Scannerpersönlichkeiten findest du hier.
Und wenn du Klarheit darüber gewinnen möchtest, ob Hochsensibilität und Hochbegabung Ähnlichkeiten aufweisen, dann schau mal hier: "Hochsensibilität = Hochbegabung?"
Abgrenzung zwischen Hochsensibilität und Autismus
Am vierten Aspekt der Hochsensibilität (Emotionale Intensität) lässt sich die Abgrenzung von Hochsensibilität und Autismus und Asperger Autismus sehr gut erklären. Denn Autisten teilen oftmals die ersten drei der vier weiter oben genannten Aspekte mit Hochsensiblen, den vierten allerdings nicht. Auch wenn sich manche Hochsensible aufgrund emotionaler Überforderung dann und wann schwer mit der Kommunikation ihrer eigenen Bedürfnisse tun können und sich selbst deshalb versehentlich als Autisten einordnen oder fälschlicherweise von ÄrztInnen oder TherapeutInnen eingeordnet werden können.
Hochsensible können introvertiert oder extrovertiert sein
Derzeitige Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 70 % der Hochsensiblen in unterschiedlich starken Ausprägungen introvertiert und 30 % von ihnen in ebenfalls unterschiedlich starken Ausprägungen extrovertiert sind.
Introvertierte Hochsensible, beziehen ihre Kraft stärker aus Selbstreflexion und innerem Dialog. Extrovertierte Hochsensible hingegen nähren sich aus der Interaktion mit anderen sehr viel mehr. Woraus sich ableiten lässt, dass extrovertierte hochsensible Menschen in einem besonderen Spannungsfeld stehen und mitunter Balancefindungsschwierigkeiten der besonderen Art zu meistern haben. Mehr dazu findest du in meinem Artikel "Wenn Hochsensible extrovertiert sind".
Hochsensible sind beliebte ZuhörerInnen
Hochsensible sind wirklich gute ZuhörerInnen und beliebte Kummerkästen. Ihr offenes, verständnisvolles Ohr und ihr einfühlsamer, achtsam formulierter Rat wird von FreundInnen und KollegInnen sehr geschätzt. Von Hochsensiblen fühlt man sich einfach verstanden. Denn ein Hochsensibler hütet sich meist aufgrund seines reichen Innenlebens, seiner ausgeprägten Empathie und seines guten Verständnisses für systemische Zusammenhänge vor Verurteilungen und Bewertungen.
Hochsensible Kinder unterstützen ihr Umfeld
Hochsensible Kinder fühlen sich (in besonderem Maße) schon früh für ihre Eltern und deren nicht gelebte Gefühle und Bedürfnisse verantwortlich. Sie tragen deshalb oft deutlich mehr Familienverantwortung als nicht hochsensible Kinder und als gut für sie wäre.
Da sie Dinge im Familiengefüge wahrnehmen, die von den Beteiligten nicht gern gesehen werden, wird ihnen ihre Wahrnehmung manchmal sogar schlecht- oder ausgeredet. Das führt dazu, dass viele Hochsensible erst im Erwachsenenalter zu ihrer Hochsensibilität als verlässliche Orientierungshilfe und als außergewöhnliches Talent zurückfinden (mehr dazu unter "Wissenswertes über hochsensible Kinder").
Hochsensible Männer kollidieren mit ihrem Rollenbild
Hochsensibilität wird aufgrund unserer weiblichen und männlichen Rollenbilder eher Frauen zugeschrieben als Männern. Dennoch sollen genauso viele Männer hochsensibel sein wie Frauen. Allerdings sprechen sie, auch wenn sie sich ihrer eigenen sensiblen Seite bewusst sein sollten, selten über ihre Hochsensibilität. Zum einen wohl, weil sehr viele Männer weniger ihr Gefühlsleben mit anderen teilen als es Frauen tun. Zum anderen, weil ein offenes Bekenntnis zur Sensibilität trotz aller positiven Entwicklungen in unserer Gesellschaft immer noch zu Stigmatisierungen führen kann.
Mehr erfährst du in meinem Artikel "Hochsensible Männer kollidieren mit dem Rollenbild".
Warum Hochsensible bei Arbeitgebern und KollegInnen punkten
Ich habe bisher immer sehr fleißige, engagierte und zuverlässige Hochsensible kennengelernt, die gerade deshalb als MitarbeiterInnen (und auch als Führungspersönlichkeiten!) sehr geschätzt aber in ihren Bedürfnissen nicht immer gut unterstützt werden. Denn Hochsensible brauchen, um produktiv arbeiten zu können noch mehr als andere MitarbeiterInnen,
- ein harmonisches, gerechtes Miteinander im Team,
- Begegnung auf Augenhöhe mit Führungskräften,
- Aufgaben mit Sinn,
- ein angenehmes Arbeits- und Raumklima
- und ein möglichst eigenständiges Arbeiten mit eigenständiger Zeit- und Pauseneinteilung
(mehr unter "Was ChefInnen für hochsensible und introvertierte MitarbeiterInnen tun können").
Dass Hochsensible mehr Sinneseindrücke in sich aufnehmen als andere, macht sie zwar ruhe- und rückzugsbedürftiger. Andererseits werten sie diese Eindrücke und Informationen auch sehr intensiv und detailliert aus, erfassen Zusammenhänge je nach persönlicher Begabung in der Regel schnell und durchdenken diese gründlich. So können viele hochsensible MitarbeiterInnen komplexe Aufgaben recht gut jonglieren und zur Verbesserung von Abläufen beitragen. Aber gerade deshalb laufen sie natürlich auch Gefahr, zu oft an ihrer oberen Stressgrenze zu agieren.
Schwierig wird es dann, wenn ein ungewohnter zusätzlicher Reiz ihren ohnehin als stressig wahrgenommenen Alltag durchkreuzt. Ein für Außenstehende ganz lapidarer Reiz wie z.B. eine zu hohe Zimmertemperatur, Durchzug, ein lautes Geräusch, die Hektik eines Kollegen, ein winziger Fehler in der Ablage, der das gut abgestimmte Arbeitsgebilde sprengt, kann bei einer Überreizung eine heftige Reaktion des Hochsensiblen nach sich ziehen. Die Reaktion ist für robustere Naturen meist nicht nachvollziehbar und so mögen mach hochsensible Menschen auf andere etwas spleenig, emotional oder nervös wirken.
Hochsensible in der Selbstständigkeit
All die oben genannten Fähigkeiten hochsensibler Menschen sind ein großes Geschenk und gleichzeitig in einer Leistungsgesellschaft nicht immer leicht und unbeschwert zu leben. Deshalb erleben sich Hochsensible oft als andersartig, als weniger leistungsfähig, als kaum belastbar und erkennen ihr Talent nicht (siehe auch "Die fünf häufigsten Glaubensätze Hochsensibler").
Erkennen Hochsensible ihre Sensibilität als etwas Besonderes, gehen sie gerne beruflich neue Wege, wählen einen Arbeitgeber, bei dem sie möglichst frei agieren können und bei dem das Miteinander und die Firmenphilosophie den eigenen Werten entspricht, oder sie gehen in die Selbstständigkeit.
Im eigenen Unternehmen gestalten sie sich im besten Fall einen ihnen entsprechenden Rahmen mit viel persönlichem Freiraum. Denn die meisten Hochsensiblen berichten, dass es ihnen ein Gefühl der Stabilität und Sicherheit gibt, „Herr der Lage" zu sein, sich ihrem Biorhythmus und ihren Aufnahmekapazitäten gemäß zu organisieren.
Videos zum Thema
In meinem Youtubekanal in der Playlist "Tipps für Hochsensible & Feinfühlige" findest du Videos rund um die Definition von Hochsensibilität, Hochsensibilität bei Kindern und wie du mit deiner und der Hochsensibilität anderer umgehen kannst.
Ich freue mich riesig, wenn du mal reinschaust, den ein oder anderen "Daumen hoch" verteilst und den Kanal abonnierst. :-)
Lebe deine zarte Stärke!
Alles Liebe, deine Inga
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