Brauchen Hochsensible & Introvertierte länger für ihre Entscheidungsfindungen und Entwicklungsaufgaben?
Mein Eindruck ist: Irgendwie schon und auch wieder nicht. ;-) Schließlich ist jeder Mensch einzigartig und hat seine ganz besonderen Talente, ob hochsensibel oder nicht. Und so gibt es auch unter uns spontanere und weniger spontane Entscheider.
Wir Hochsensiblen und Introvertierten zeichnen uns allerdings durch die Liebe zur Innenschau aus. Wenn wir also Entscheidungen zu treffen haben, dann werten wir zuvor sehr gewissenhaft alle uns vorliegenden Informationen, unsere Erfahrungen und Gefühle aus. Wir bewegen verschiedene Szenarien in uns und entscheiden erst dann. Und das kann schon mal etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen - zumindest bei mir. ;-)
Und wie sieht es bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und Herausforderungen aus?
Manche Hochsensible sind Pioniere
Ich erlebe hochsensible und introvertierte Menschen als sehr vielschichtige Persönlichkeiten. Viele von ihnen sind wie Seismographen für gesellschaftliche Veränderungen und erspüren transformative Prozesse viel früher als Menschen in ihrem Umfeld. Dementsprechend reagieren sie auch auf diese Veränderungen und passen sich ihnen an.
Dabei leisten sie aus meiner Sicht oft wertvolle "Pionierarbeit" für ihr Umfeld. Denn sie schaffen durch ihre Reaktion auf Veränderungen Erfahrungsräume für Menschen in ihrem Umfeld. Sie können zu Orientierungshilfen in Wandlungszeiten wie der unseren werden. Sie gehen also nicht selten voran. Was durchaus knifflig sein kann, denn sie müssen sich bei diesen Verwandlungen an einem inneren Kompass orientieren, wenn es im Außen noch keine Orientierungshilfe gibt.
Natürlich habe ich auch hochsensible Menschen kennengelernt, die an ihrer intensiven Wahrnehmung eher zweifeln und verzweifeln und deshalb nicht unbedingt zu Pionieren werden. Damit will ich sagen: Wir sind als Hochsensible nicht allwissend und auch nicht immer voranschreitend. Wir erfüllen mit unseren Gaben eben die Aufgaben, die uns gut liegen. Wie andere mit ihren Gaben die ihren erfüllen.
Den Umgang mit Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben empfinde ich bei Hochsensiblen und Introvertierten oft als sehr intensiv, reflektiert und bewusst - eben wie bei den Entscheidungsfindungen. Das macht uns von Außen gesehen nicht unbedingt schnell.
In einigen Büchern über die Hochsensibilität habe ich gelesen, dass sich bei vielen hochsensiblen Kindern eine spätere Pubertät und ein späteres erstes Liebesleben einstellt. Auch das mag daran liegen, dass wir alles mit Bedacht in uns bewegen, bevor es einen Schritt weiter geht. ;-)
Wenn wir aber bedenken, dass Hochsensible sehr viel mehr Sinneseindrücke und Informationen aufnehmen und diese Dinge sehr viel intensiver in sich bewegen und auswerten als viele andere Menschen, dann finde ich uns wiederum recht flott. ;-)
Steh' zu deinem Tempo - Hör auf, dich zu vergleichen
Die Frage, ob wir Hochsensible nun langsamer sind als viele unserer Mitmenschen, mag sich in unserer westlichen Wertewelt, in der es um Schnelligkeit, Flexibilität und stetes Wachstum geht, durchaus stellen. Und ich habe mir diese Frage auch eine Zeit lang gestellt, weil ich das Gefühl hatte, das Tempo unserer Leistungsgesellschaft nicht mithalten zu können.
Schon bald habe ich es allerdings tunlichst unterlassen, mir diese Frage zu stellen. Warum? Weil sie mich nicht glücklich macht. Denn sie zeigt, dass ich mich vergleiche. Dass ich mich bewerte, an jemand anderem messe. Und das macht mich klein.
Ich habe mein Tempo und ich erlaube mir mein Tempo bei Entscheidungsfindungen. Na ja, fast immer. Manchmal spüre ich noch eine Ungeduld mit mir. Hänge der Idee nach, ich müsste mich eilen. Das kennst du vielleicht auch?
Inzwischen erkenne ich diese Gedanken als eine Idee, die ich jederzeit wieder fallen lassen kann und schon geht es entspannt in meinem Tempo weiter.
Was ist, wenn andere mich "schneller" wollen?
Jetzt fragst du dich vielleicht: Was ist mit meinem Umfeld? Was ist mit meinem Chef und den Kollegen, die mich gern schneller hätten? Meinem Partner? Meinen Kindern? Meinen vielen Aufgaben?
Meine Erfahrung ist: Je selbstverständlicher und selbstbewusster ich zu meinem Tempo stehe, desto selbstverständlicher respektieren das meine Mitmenschen.
Was dich in Eile versetzt ist nicht dein Chef, sondern deine Idee, du müsstest den Vorstellungen deines Chefs (um jeden Preis) gerecht werden. Lässt du diese Idee ziehen, kannst du auf Augenhöhe mit deinem Gegenüber verhandeln.
Und wenn du feststellen solltest, dass dein Gegenüber und du unmöglich kombinierbare Wertvorstellungen in Punkto Schnelligkeit oder anderen Dingen haben, hast du immer noch die Wahl, dich nach einem anderen Umfeld umzuschauen.
Mein Rat ist: Schau' gut auf dich! Wenn du dich ständig entgegen deines Rhythmus' bewegst, wird dich das irgendwann ausbrennen. Ein Leben entgegen deines Rhythmus' lässt dich auf jeden Fall nicht in deine wahre Kraft finden.
Schau, was du tun kannst, um selbstbewusster zu deinem Rhythmus zu stehen und / oder ändere deinen Platz, wechsle den Arbeitgeber, kündige die Freundschaft auf, ... Denn es gibt in der Tat Wertewelten, die sich nur mit großem Kraftaufwand kombinieren lassen. Drum prüfe, ob es den Kraftaufwand wert ist und wähle einen Platz für dich, an dem du dich frei entfalten kannst.
zart starke Grüße
deine Inga
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Maddin (Donnerstag, 11 April 2019 17:52)
Vielen Dank für diese Einsichten. Das spricht mir aus der Seele.
Bea (Montag, 28 September 2020 19:02)
Oh ja, endlich jemand, der mich versteht!!
Inga Dalhoff (Dienstag, 29 September 2020 09:54)
:-) Freut mich sehr zu lesen! :-)
Martina (Donnerstag, 29 Oktober 2020 21:24)
Toller Beitrag!! ;-)
Inga Dalhoff (Sonntag, 01 November 2020 15:50)
Danke, liebe Martina!
Marion (Freitag, 02 April 2021 14:41)
Danke das Sie mir die Augen geöffnet haben, das trifft genau
auf mich zu.
Liebe Grüße
Marion
Inga Dalhoff (Freitag, 02 April 2021 16:00)
Das freut mich liebe Marion! Alles Liebe, deine Inga
Maxi maxi (Mittwoch, 12 Mai 2021 05:53)
Leider werden hochsensible Menschen oftmals psychisch krank abgestempelt
Inga Dalhoff (Mittwoch, 12 Mai 2021 10:46)
Liebe(r) Maxi,
hast du diese Erfahrung gemacht?
Ich kenne die Erfahrung, dass meine zart starke Seite als Schwäche bewertet wurde. Diese Bewertung ist über lange Zeit in mein Selbstbild eingeflossen, so dass ich meine Hochsensibilität auch eher als hinderlich für meine Lebensgestaltung angesehen habe. Nachdem ich meine Einstellung gewandelt hatte, mein Selbstbild ein anderes und mein Selbstbewusstsein sich verändert hatte, begegnet mir im Außen auch keine Ablehnung mehr. Das war eine sehr spannende Erkenntnisreise, die mir wieder einmal bewusst gemacht hat, dass das Außen Spiegel meines Innen ist und umgekehrt.
Ich wünsche dir viel Kraft und Freude an deiner Hochsensibilität und deiner Einzigartigkeit und dass immer mehr Menschen in dein Leben finden, die dich genau so schätzen, wie du bist.
Alles Liebe, deine Inga
Christine (Mittwoch, 15 September 2021 18:30)
Oh ja, das fühlt sich sehr gut an :). Danke. Ich tappe auch immer noch zwischendurch in die Falle, mich unter Druck zu setzen bzw. setzen zu lassen. Aber es wird weniger :).
Inga Dalhoff (Donnerstag, 16 September 2021 10:18)
Ist doch spannend, wie lange sich so eine Idee von "Ich muss schnell sein" oder "Ich muss mich beeilen" hält, gell?! Aber steter Tropfen höhlt den Stein. ;-) Wunderbar, wenn es uns auffällt, wenn wir in alte Muster verfallen und uns dann liebevoll entschleunigen.
Lass es dir gut gehen, liebe Christine!
Alles Liebe und zart starke Grüße, deine Inga
Marion Zendler (Dienstag, 18 Juli 2023 10:24)
Wunderbarer Beitrag, genauso fühle und denke ich� vielen Dank
Inga Dalhoff (Dienstag, 18 Juli 2023 14:50)
Liebe Marion,
das freut mich sehr zu lesen. :-)
Alles Liebe für deinen zart starken Weg, deine Inga
Petra (Dienstag, 22 Oktober 2024 12:25)
Ein schöner Beitrag, aber das hätte mir damals auch nicht geholfen,
! ich arbeitete fast 34 Jahre als Krankenschwester im Schichtdienst (Früh-Spät-Nächte) ich wurde im frei regelmäßig angerufen, (da ich ja gutmütig bin , kann man das mit mir machen so sagte mir einmal eine Stationsleitung ins Gesicht! )
In meiner ganzen Laufbahn wurde ich auf der Arbeit nur gehetzt zum schneller arbeiten - und gemoppt ! In der Pflege zu Arbeiten ist der reinste Horror wenn man ,, richtig und korrekt ,, arbeiten möchte , ICH wollte immer gute und korrekte Arbeiten abliefern und brannte dabei aus und wurde krank . Ich sagte mir immer wieder selber, hör auf so korrekt zu arbeiten , schlampe auch so rum wie es die anderen machen . Konnte es aber nie ! Jetzt mit 52 Jahren bin ich psychisch krank von permanenten Zeitdruck ,Stress,Mobbing von der Arbeit und meine ganzen Gesundheitsproblemen. Mir haben nie die gutgemeinten Tipps aus dem Netz geholfen. Entweder man steigt aus dem ungeliebten Job aus ( ist mir leider selber nie gelungen weil ich immer dachte , ich schaffe das bis zur Rente) oder bekommt Burn out und evt. eine Umschulung wenn man Glück hat .
Inga Dalhoff (Dienstag, 22 Oktober 2024 20:54)
Liebe Petra,
danke für deine Rückmeldung.
Für mich klingt es so, als wärst du deinen Werten einer verlässlichen,, sorgfältigen Erledigung deiner Aufgaben immer treu geblieben. Auch unter dem größten Druck. Das finde ich sehr bewunderungswürdig.
Jetzt scheint es an der Zeit zu sein, dir und deinem Körper treu zu bleiben und dir selbst das zu schenken, was du brauchst.
Ja, die wertvollsten Tipps aus dem Internet oder den Ratgeberbüchern sind nichts wert, wenn wir sie nicht umsetzen können. Weil wir nicht wissen, wie das gehen könnte oder weil uns dies Angst macht.
Meiner Erfahrung nach braucht es meist erst die Transformation von hinderlichen Überzeugungen und Ängsten, damit uns unsere eigenen Ansprüche und die der anderen nicht mehr durch die Gassen treiben und ausbrennen oder bevor ein großer Schritt wie ein Jobwechsel angegangen werden kann.
Ich wünsche dir von Herzen Gesundheit, Glück und Lebensfreude.
Alles Liebe, Inga