Warum es für Hochsensibilität keinen Off-Schalter gibt und der Satz "Sei doch nicht so empfindlich" kontraproduktiv ist
Kennst du das auch? Diesen Satz „Sei doch nicht so empfindlich!". Oder „Jetzt machst du aber aus einer Mücke einen Elefanten." oder „Ich weiß gar nicht, was du hast. Es ist doch alles in bester Ordnung.".
Für mich ist in so mancher Situation eben nicht alles in bester Ordnung. Als Hochsensible nehme ich wahr, wenn in einer Besprechung unter der Oberfläche Empfindungen, Bedürfnisse, Sehnsüchte oder Ängste mitschwingen. Vom Gegenüber unbeachtete Emotionen und Muster durchklingen, die es schwer machen, eine verbindliche Lösung im Miteinander zu finden. Das ist wie Hören auf zwei Kanälen. Ich höre die gesprochenen Worte und ich fühle die mitschwingenden Emotionen.
Das macht meine Wahrnehmungswelt außerordentlich bunt und mich zu einem guten Coach. Es schenkt mir auch die Möglichkeit zu erkennen, ob mein Gegenüber und ich das Gleiche meinen. Denn – und das kennst du sicherlich – auch bei Verwendung der gleichen Worte, meinen wir nicht immer das Gleiche. :-)
Eine klassische Pattsituation ergibt sich immer dann, wenn ich meine Wahrnehmung kundtue und diese als nicht relevant abgetan wird. Weil mein Gegenüber z.B. nicht spürt, was ich spüre bzw. nicht offen ist für mein Empfinden. Wenn mein Gegenüber meint, ich sei an dieser Stelle etwas überempfindlich, würde „unken" oder mal wieder eine Extraschleife machen wollen. Kurzum ich würde dem Erfolg des gemeinsamen Projektes im Wege stehen und eine zügige pragmatische Lösung unterbinden.
In einer solchen Situation fiel es mir oft schwer, auf die Erfüllung meines Bedürfnisses nach Klärung zu bestehen. Übermächtig schien mir der Wunsch meines Gegenübers, zügig zu einer gemeinsamen Lösung zu finden. Es lockte das alte Muster, mich zurückzunehmen und ganz nach dem Spruch „Der Klügere gibt nach" einen Kompromiss anzustreben. Denn Konflikte strengen mich außerordentlich an, hängen mir oft Tage und Wochen nach. Der einfachere Weg schien auf den ersten Blick das Nachgeben zu sein. Das Unter-den-Teppich-kehren meiner Hochsensibilität und ihrer Botschaften. Das Abschalten meiner Empfindsamkeit.
Doch das gelang natürlich nie. Denn: Ich kann meine Hochsensibilität nicht abstellen. Genauso wenig wie Hochbegabte ihre Intelligenz abschalten oder lang gewachsene Menschen sich klein machen können. Ich kann nur „so tun als ob". Würde ich meine Hochsensibilität wirklich versuchen abzuschalten, müsste ich zu Eis gefrieren oder zu Stein erstarren, wie wir es von traumatisierten Menschen kennen.
In der Zeit, als mir meine Spürigkeit noch nicht so bewusst war, habe ich tatsächlich immer wieder versucht, meine Empfindsamkeit zu ignorieren. In der Hoffnung, dass längere Ignoranz zur „Abhärtung" beisteuern würde. Ich wollte so sein wie alle anderen. Ich wollte dazugehören, leistungsstark und funktionabel sein. Die Folge war nicht nur, dass ich das Gefühl hatte, mein Herz zu Stein erstarren zu lassen und in einer grauen Welt mein Leben fristen zu müssen. Ich brannte aus, wurde depressiv und lethargisch. Aus dem einfachen Grund, weil meine Hochsensibilität, wie auch meine Hellfühligkeit einen Sinn haben. Sie sind mir als Talente geschenkt, um mit ihnen Gutes zu tun. So wie Künstler uns mit ihrer Kunst berühren und handwerklich Begabte uns Häuser bauen, wie Hochintelligente in der Forschung Wunder vollbringen und Strategen Politik machen und den Frieden sichern. So schenken Hochsensible oftmals Verständnis, Mitgefühl und die Einladung zu Selbstreflexion und Transformation.
Verneinen wir unser Talent, verneinen wir uns selbst, leben unser Potenzial nicht aus, verfehlen unseren Seelenplan / unsere Berufung und vergeben die Chance auf ein wahrhaft erfülltes Leben.
Hören wir also auf, den OFF-Schalter zu suchen und bejahen das ON. Raus aus der Opferhaltung, raus aus dem Retterdasein, hinein ins pralle Leben. :-)
Lebe deine zarte Stärke!
Alles Liebe, deine Inga
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